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Pressebericht

Fessenheim

Badische Zeitung vom Dienstag, 2. Mai 2006

Stromwechsel als “schärfste Waffe”



Bildunterschrift:

Einer der Redner bei der Tschernobyl-Demo war Franz Alt.

(FOTO: BAMBERGER)

Von unserer Mitarbeiterin Anja Bochtler

Die Parole aus alten, erfolgreichen Zeiten durfte nicht fehlen: “Nai häm mer g'sait” schallte es am Samstagmittag über den Freiburger Rathausplatz — fast wie einst beim Anti-Atom-Protest in Wyhl. Mehr als 1000 Menschen nahmen an einer zwei Stunden dauernden Kundgebung teil, zu der 35 Gruppen, Bürgerinitiativen und Verbände aus der Region aufgerufen hatten. Ihr Motto: “20 Jahre Tschernobyl — Stopp Fessenheim”.
Der Info-Stand der Elektrizitätswerke Schönau, die “sauberen” Strom ohne Atomkraft garantieren, ist hier goldrichtig. “Mach du den ersten Schritt — wechsel zu Ökostrom” steht auf dem Plakat einer Frau. Diese Aufforderung taucht auch in den Reden immer wieder auf. “Der Stromwechsel ist eine unserer schärfsten Waffen”, betont Axel Mayer vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) und warnt: “Es genügt nicht, einmal im Jahr zu demonstrieren.” Es sei ärgerlich genug, 20 Jahre nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl noch demonstrieren zu müssen. Damals, nach dem 26. April 1986, sei “sogar CDU-Politikern das Wort Atomausstieg locker über die Lippen” gegangen. Aber statt sich damit zu konfrontieren, was für “Teufelszeug” sie befürworteten, würden Atomkraftbefürworter gemäß dem psychologischen Phänomen der Projektion vielmehr ihren Kritikern vorwerfen, sie würden “den Teufel an die Wand malen”, kritisiert der Psychoanalytiker Lutz Brüggemann von den Internationalen Ärzten zur Verhütung des Atomkriegs (IPPNW).
In der Ukraine seien nach wie vor Tausende von Tschernobyl-Opfern gezwungen, alles, was sie haben, zu verkaufen, um medizinische Behandlungen zu finanzieren, erinnert die grüne Europa-Abgeordnete Rebecca Harms, die regelmäßig in der Ukraine ist.
“Ein größerer Unfall in Fessenheim würde auch hier die gesamte Region unbewohnbar machen”, warnt Jürg Stöcklin aus Basel vom Trinationalen Atomschutzverband der Bevölkerung um das Atomkraftwerk Fessenheim (TRAS) und macht gleichzeitig Mut: “Hunderttausende sind unserem Verband seit vergangenem Sommer beigetreten.” Umso wichtiger sei jetzt der Widerstand gerade gegen die französischen Stromriesen, die den Menschen vorgaukelten, dass Atomkraft zu Wohlstand und Unabhängigkeit führe, fordert Claude Ledergerber vom elsässischen “Comité pour la sauvegarde de Fessenheim et de la Plaine du Rhin” (CSFR).
Immerhin habe sich der Anteil des Öko-Stroms in wenigen Jahren auf elf Prozent gesteigert, bilanziert der Journalist Franz Alt, und eines müsse klar sein: “Das atomare Restrisiko kann uns jeden Tag den Rest geben.” Nicht alle finden die Teilnahme Alts an dieser Kundgebung gut: In Flugblätter wird ihm vorgeworfen, sich früher antisemitisch geäußert und rechtsextremen Zeitungen wie der “Nationalzeitung” Interviews gegeben zu haben — davon habe er sich nie distanziert. Die Antisemitismus-Vorwürfe gegen ihn seien “primitiv”, wehrt sich Franz Alt vor dem Mikro. Später, als es wieder um Atomkraft geht, sagt er, es sei nicht schlimm, Fehler zu machen, auch er habe viele gemacht — schlimm sei aber, nicht daraus zu lernen.

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