Aktuell

Pressebericht

Fessenheim

Badische Zeitung vom Freitag, 20. Januar 2006

Den Druck erhalten

Von Stefan Hupka
Es lohnt sich nachzuhören, was der neue Bundeswirtschaftsminister kurz nach Neujahr versprochen hat. Er wolle den Koalitionspartner nicht gleich zu Jahresbeginn reizen, beteuerte CSU-Mann Glos. Um im nächsten Halbsatz genau das zu tun - mit einem Ruf nach längeren Laufzeiten für Atomkraftwerke. Rote und grüne Umweltpolitiker schäumten pflichtschuldig, die Ministerpräsidenten Oettinger und Koch sprangen dem Unionsfreund dagegen bei. In ihren Ländern stehen die nächsten Abschaltkandidaten, Neckarwestheim I und Biblis A. Seither vergeht kaum ein Tag ohne Energiegeplänkel. Ein Streit, der geschlichtet und per Gesetz beendet schien, bleibt der Republik erhalten, der Streit um den Atomausstieg.
So weit, so erwartbar. Es wäre auch naiv gewesen anzunehmen, dass diejenigen, gegen deren Willen der Atomausstieg beschlossen wurde, ihn auf Dauer respektieren würden: Unionsparteien, Liberale und die großen Energieversorger. Interessant aber ist, dass Glos offenbar glaubt, er müsse jetzt, wo die Grünen nicht mehr mitregieren, bloß noch ein paar irregeleitete Sozialdemokraten zur Vernunft bringen, dann werde der atompolitische Kurswechsel schon klappen. Auf Teile der SPD könnte dieses Kalkül sogar zutreffen. In dieser Partei war die Begeisterung für den Ausstieg bekanntlich bei weitem nicht so flächendeckend wie bei den Grünen, die dem Thema ja ihre Existenz als Partei verdanken.
Dass das gute Zureden für eine Renaissance der Atomkraft dennoch nicht reichen wird, könnten Glos und andere Kurswechsler in Bund und Land, wenn sie sich die Mühe machten, an nahezu jedem beliebigen Atomstandort feststellen. Rund um Neckarwestheim protestieren Bürgermeister und Gemeinderäte jedweder, auch schwarzer Couleur seit Jahren gegen ein atomares Zwischenlager auf dem AKW-Gelände. Im Markgräfler Land östlich des französischen Atommeilers Fessenheim verabschieden Kommunalparlamente seit Jahr und Tag unter tatkräftiger Mithilfe der Union Abschaltresolutionen - und es ist nicht erkennbar, dass sie ein AKW diesseits des Rheins toleranter behandeln würden. Und selbst in Glosens Bayern gilt: Die Atomkraft ist eine zwar da und dort zähneknirschend geduldete, keineswegs aber gesellschaftlich akzeptierte Art der Stromerzeugung, weshalb sie politisch auch auf Dauer nicht durchsetzbar ist, man denke nur an Wackersdorf.
Aus dieser Einsicht könnte man als Politiker, sogar als Wirtschaftsminister mit CSU-Parteibuch, eigentlich Konsequenzen ziehen: dass es besser sei, sich für Alternativen zur Atomkraft ins Zeug zu legen, als zu versuchen, der Bevölkerung ihre Angst vor dem Atom auszureden. So rechnen seriöse Wissenschaftler vor, dass mit entschlossener Förderung regenerativer Energien wie Sonne, Wind, Wasser, Biomasse und Erdwärme, vor allem aber mit Niedrigenergiebauweise, Stromsparen und hocheffizienten dezentralen Heizkraftwerken der Ausstieg in überschaubarer Zeit umweltfreundlich zu bewältigen ist. Schöner Nebeneffekt: Da entstehen Know-how und Technologien, mit denen Deutschland führend werden kann, zum Teil im kleinen Maßstab schon ist - gewappnet für den späteren, aber absehbaren Zeitpunkt, an dem andere Industrienationen auch auf den Trichter kommen.
Stattdessen mehren sich jetzt ärgerlicherweise Versuche, die störrische atomkritische Bevölkerung nachgerade zu erpressen - mit Warnhinweisen auf Klimawandel und Versorgungssicherheit. Wobei Letzteres sich leichter als Märchen entkräften lässt, als das Erstere. Nur zehn Prozent des Erdgases wird in Deutschland zur Stromerzeugung verbraucht, das meiste geht in die Heizung. Dennoch versuchten die Atomkurswechsler Putins Drehen an der Pipeline bedenkenlos für ihre Ziele zu instrumentalisieren. Davon aber, dass die Welt-Uranvorräte in rund 50 Jahren verbraucht sein werden, hört man von ihnen kein Wort.
Das Argument Klimawandel hat da schon ein anderes Gewicht. In der Tat werden die Energieversorger, wenn es mit dem Energiesparen und Umsteuern zu langsam geht, gezwungen sein, abgeschaltete AKW durch fossile Brennstoffe zu ersetzen. Obergrenzen setzen ihnen das Kyoto-Protokoll und der Emissionshandel. Wahr aber bleibt: Wer einfach AKW-Laufzeiten verlängern will, hat energiepolitisch resigniert. Er nimmt von der Volkswirtschaft den Druck zum Umsteuern. Ein Druck, den sie braucht. 

 © 2006 Badische Zeitung