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Badische Zeitung vom Donnerstag, 18. Mai 2006
“Flickwerk” im AKW Fessennheim
Physiker Christian Küppers über die Arbeit der Kommission der Reaktorsicherheit und den Zustand des Reaktors jenseits des Rheins
Von unserem Mitarbeiter Hans Christof Wagner
MÜLLHEIM. Wenn du nicht mehr weiter weißt, dann gründe einen Arbeitskreis. Doch die eigentlichen Entscheidungen fallen anderswo. Ein recht ernüchterndes Fazit seiner Arbeit zog am Dienstag Christian Küppers vom Öko-Institut Darmstadt in Müllheim auf Einladung der AGUS (Arbeitsgemeinschaft Umweltschutz Markgräflerland).
Der Physiker, der im Januar 2005 in die Deutsch-Französische Kommission für Fragen der Sicherheit kerntechnischer Anlagen (DFK) berufen wurde, machte klar: Die Kommission taugt weder zum wirksamen Kontrollinstrument noch dazu, den Druck auf die Franzosen so zu erhöhen, dass die das AKW Fessenheim stilllegen.
Küppers ist auf Initiative der grünen Bundestagsabgeordneten Kerstin Andreae und des Freiburger OB Dieter Salomon zur DFK gestoßen. Die wurde bereits 1976 eingerichtet und tagt einmal jährlich, abwechselnd in Deutschland und in Frankreich. Ihr Auftrag ist es, gegenseitig Informationen zu Fragen der Sicherheit, des Strahlenschutzes sowie der Notfallschutzplanung auszutauschen. Dies betrifft insbesondere die grenznahen Atomkraftwerke Fessenheim und Cattenom auf französischer sowie Neckarwestheim und Philippsburg auf deutscher Seite.
Dabei, so Küppers, sei es auch geblieben, beim gegenseitigen Informationsaustausch. Die Kommission verstehe sich nicht als kritisches Kontrollinstrument, habe gar keinen Auftrag dazu. So könnten die Franzosen erklären, es sei alles in Ordnung, und es werde geglaubt. Umgekehrt nähmen die zur Kenntnis, was auf deutscher Seite beschlossene Sache sei, zum Beispiel der von Rot-Grün entschiedene Atomausstieg. “Forderungen nach besseren Sicherheitsstandards und modernerer Technik an ein souveränes Land zu stellen, ist äußerst schwierig”, unterstrich Küppers. Der hat seit seiner Berufung erst eine DFK-Sitzung erlebt, im Januar in Colmar. Anschließend seien die Mitglieder zu einer Besichtigung des AKW eingeladen gewesen, bei der die Kraftwerksleitung Nachbesserungen der Anlagen zwecks Erdbebensicherung vorgestellt habe. “Und sie haben eingeräumt, dass beim Bau der beiden Blöcke in den 70er-Jahren falsche Berechnungen gemacht wurden”, berichtete Küppers.
Er habe im Innern der Anlage “Flickwerk” vorgefunden, ein “Sammelsurium” verschiedenster Fabrikate, was er nicht nur als problematisch bei anstehenden Reparaturen wertete, sondern auch als “Einfallstor für menschliches Versagen”. So sind laut Küppers dort Dämme gegen eine mögliche Überflutung gebaut worden, die Lücken haben, um Durchgangstraßen offen zu halten. Für den Ernstfall lägen Sandsäcke bereit, um die Lücken zu schließen. Eine Mauer sei mit einer fünf Zentimeter dünnen Schicht Steine erhöht worden. Ein Mitglied der DFK habe der Anblick dieser “Schutzmaßnahme” zur Bemerkung motiviert: “Ach, wie niedlich!”
Küppers sagte, dass seiner Einschätzung nach die in Deutschland für neuere AKW üblichen Standards zum Schutz vor Erdbeben, Flugzeugabstürzen oder Terroranschlägen in Fessenheim nicht erreicht seien. In Deutschland sei es üblich, die Reaktorschutzhülle mit zwei Meter starkem Spannbeton zu bauen, in Fessenheim seien es nur 75 Millimeter. “Das Abklingbecken für abgebrannte Brennelemente und Wasserbehälter für die Kühlsysteme sind in Fessenheim außerhalb des Containments gebaut, also ohne besonderen Schutz”, erzählte Küppers von der Kraftwerkstour.
Jean-Paul Lacôte, der Alsace Nature in der Kontrollkommission (CLS) von Fessenheim vertritt, konnte ebenso wenig Mut machen. Die Electricité de France (EdF), der Kraftwerksbetreiber, hat die Deutungshoheit, während es den 20 Mitgliedern der CLS an Informationen und Sachwissen fehlt. Die könne nur zu den alle zehn Jahre anstehenden Revisionen Experten und Wissenschaftler zu Rate ziehen. “Keiner weiß genau Bescheid in der Kommission”, so Lacôte.
Laut Jean-Jacques Rettig vom Comité pour la Sauvegarde de Fessenheim et de la plaine du Rhin hätten vor allem die zehn der CLS angehörenden Generalräte des Departements Haut-Rhin wenig Interesse an einer effektiven Arbeit der Kommission. Rettig erinnerte an die inzwischen lange Geschichte des Anti-AKW-Kampfes am Oberrhein. Der habe Fessenheim zwar nicht verhindern können, aber immerhin dazu beigetragen, dass nur zwei statt vier Reaktorblöcke gebaut wurden.
Angesichts der geringen politischen Einflussmöglichkeiten wurde in Müllheim umso mehr auf den TRAS verwiesen, den “Trinationalen Atomschutzverband der Bevölkerung um das AKW Fessenheim”. Angesichts des Gehörten bleibe der juristische Kampf gegen den “Schrottmeiler” vielleicht der einzig Erfolg versprechende Weg. Andere hoben darauf ab, dass es jeder einzelne Stromkunde in der Hand habe, Fessenheim vom Netz abzuhängen: durch einen Wechsel zu einem Ökostromlieferanten. Die seien heute auch kaum noch teurer.
Martin Richter von AGUS sagte, dass nach diesem Abend nun niemand mehr behaupten könne, die Forderung, Fessenheim abzuschalten, habe etwas mit Ideologie zu tun. Sie entspringe schlicht dem gesunden Menschenverstand.
© 2006 Badische Zeitung