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Pressebericht

Fessenheim

DER SONNTAG, vom 18.6.2006

„Ein Dorf im Widerstand"
Auch im Elsass formiert sich allmählich der Protest gegen das AKW Fessenheim

Von Hans Christof Wagner

Vor einem Jahr wurde der trinationale Atomschutzverband (Tras) gegründet, und seine Kampagne nimmt Fahrt auf. In dieser Woche haben der Ortsverband der Grünen Müllheim-Neuenburg und die Elektrizitätswerke Schönau ihren Beitritt zu Tras gemeldet. Die Stadt Freiburg wird am 1. Juli Mitglied. Damit stehen hinter Tras derzeit 28 Kommunen, 21 Verbände und 63 Einzelpersonen. Doch noch ist er mehr bi-, denn trinational. Einzige französische Tras-Kommune ist das Dörfchen Mollau in den Vogesen.
Wir befinden uns im Jahre 2006 nach Christus. Das ganze Elsass ist vom AKW-Betreiber, der EdF (Electricite de France) besetzt. Das ganze Elsass? Ein von Unbeugsamen bewohntes Dorf leistet Widerstand. Ganz im Ernst: Ein Asterix ist Francis Schirck, Landwirt und Bürgermeister des 419-Seelen-Örtchens Mollau im Thur-Tal, rund 50 Kilometer nordwestlich von Mulhouse, nicht. Er hält Kühe auf seinem Hof, macht aus deren Milch Biokäse. Die Wand hinter seinem Schreibtisch in der Mairie ist mit Foto-Tapete verkleidet, sie zeigt einen Bergbach in den Vogesen.
Warum Mollau? Schirck hebt abwehrend die Hand, dreht das Gestell seiner Lesebrille in den Fingern und sagt: ,,Wir sind keine Militanten." Dass sein Örtchen Tras-Mitglied geworden ist, wurde jüngst, auf der Pressekonferenz des Verbandes mit Corinne Lepage auf dem Euro-Airport Mulhouse, nicht ohne Genugtuung verkündet. Sicher ist Mollau weder Mulhouse noch Colmar. Aber die Geste, das Symbol zählt. "Symbolique" - den Begriff benutzt Schirck gerne und oft. 29,33 Euro beträgt der Tras-Mitgliedsbeitrag der Gemeinde, pro Einwohner sieben Cent.
Claude Ledergerber, den französischen Vize-Präsidenten von Tras, kennt er nicht. Wohl aber dessen Brief. Der hat zahlreiche Bürgermeister im Elsass angeschrieben, und an sie appelliert, für einen Beitritt ihrer Orte den Weg zu ebnen. Vor allem grüne Bürgermeister waren Adressaten. Schirck ist in keiner Partei, auch nicht bei den Verts, den Grünen. Auch im Conseil Municipal, dem Gemeinderat, sei niemand parteimäßig gebunden. Einer soll gesagt haben, dass Tras doch ein deutscher Verein sei und man deswegen unmöglich mitmachen könne. Einstimmig war der Beschluss nicht. Aber die Mehrheit war vorhanden. "Wenn wir die Bevölkerung gefragt hätten, hätten wir die nicht bekommen", ist der Maire überzeugt. "Trop desinteressés" seien die Leute.

125 gegen Fessenheim

Sensibilisieren müsste man sie, dafür, auf erneuerbare Energien umzusteigen. Das macht man in Mollau. Die Kommune gibt Zuschüsse zur Installation von Solaranlagen. Eine zentrale Holzheizung haben sie im Dorf seit 1996. Sie wärmt sämtliche kommunale Gebäude, die Kirche und ein paar Privathäuser. Damals hatten das viele außerhalb merkwürdig gefunden - unmodern. Vielleicht hat das mit der bekannten Neigung der Franzosen zu Größe zu tun, die sich auch im Energiesektor zeigt. Holz zu verbrennen in einem kleinen Dorf, für eine Handvoll Leute erscheint da eher archaisch.
Vor dem Gebäude, in dessen Keller die Holzheizung installiert ist, liegt der Kindergarten. Von dort hängt die Flagge Tibets herunter. Aus Solidarität mit dem unterdrückten Volk, wie Schirck sagt. Dann ist die EdF China? Schirck muss lachen, beschwichtigt dann. Es gebe weder Streit, noch werde man boykottiert. In den kommenden Tagen sollen EdF-Techniker kommen. Um die noch überirdischen Stromleitungen Mollaus in den Boden zu verlegen.
Bei 419 Seelen muss sich EdF noch keine Sorgen machen. Aber Claude Ledergerber ist optimistisch, dass es ab Herbst, nach den Sommerferien, mehr werden. Auf Kaysersberg mit Bürgermeister Henri Stoll und Wattwiller mit Maire Jacques Muller, beide grün, setzt er besonders. "In vielen Gemeinden steht es im Gemeinderat auf der Kippe, fifty-fifty für und gegen den Beitritt", so der Tras-Vizepräsident.
Und er verweist auf den Aufruf von inzwischen 125 Lokal- und Regionalpolitikern des Elsass. Die fordern: Fessenheim 2007 abschalten! Es sind viele Bürgermeister, Gemeinderäte und Generalräte darunter, auch aus dem bürgerlichen Lager. Sämtliche Mollauer Conseiller haben unterschrieben. Ganz ohne Debatte, ganz spontan, wie sich Schirck erinnert. ,,Mutig" nennt das Ledergerber. Doch es sei eben etwas anderes, persönlich einen Appell zu unterzeichnen, als die Weichen in der Kommune in Richtung Tras-Mitgliedschaft zu stellen.
Dass Mollau beigetreten ist, kann über das Symbolische hinaus aber auch sehr praktisch wirksam sein. EdF argumentiert in die Richtung: Tras - da stecken doch Deutsche und Schweizer dahinter. Was wollen denn die Ausländer? Seit Mollau drin ist, zieht das Argument nicht mehr.
Dabei profitiert auch das Vogesen-Dörfchen vom Kernkraftwerk Fessenheim, wenn auch nur bescheiden. In Frankreich gibt es die so genannte péréquation, die Verteilung von Steuergeldern auf mehrere Körperschaften. So zahlt auch EdF für das AKW Fessenheim eine Art Gewerbesteuer.
Laut Jean-Paul Lacote, der für den Umweltverband Alsace Nature in der Kontrollkommission des AKW sitzt, bekommt die Gemeinde Fessenheim allein jährlich 500.000 Euro überwiesen. Doch es profitieren sämtliche Kommunen des Departements Haut-Rhin von dem umstrittenen Kraftwerk. Riedisheim bei Mulhouse zum Beispiel, so Lacote, mit 180.000 Euro jährlich.
Das sind weder Geschenke, noch Bestechungsgelder. Sie stünden den Gemeinden zu, auch wenn sie Tras beitreten würden. Doch fließen sie nicht mehr, wenn der Atommeiler einmal tatsächlich stillgelegt sein sollte.

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