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Fessenheim

Badische Zeitung vom Freitag, 3. August 2007

Abschalten allein genügt nicht
Die Stilllegung und der Rückbau eines Atomkraftwerks kann bis zu zwölf Jahre dauern

Von unserer Korrespondentin Bärbel Krauß

BERLIN. Nach den Störfällen in den schleswig-holsteinischen Atomkraftwerken Krümmel und Brunsbüttel macht Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) sich für eine frühere Abschaltung älterer Meiler stark. Doch obwohl die Union nicht mehr ganz geschlossen für eine Verlängerung der Laufzeiten plädiert, ist ungewiss, ob Gabriel seine Forderung durchsetzen kann.

Die Ziele der Stromkonzerne sind eindeutig. Sie haben drei Anträge gestellt mit dem Ziel, Restlaufzeiten von jüngeren Meilern auf die älteren Kraftwerke Biblis A, Brunsbüttel und Neckarwestheim 1 zu übertragen. Aber unabhängig davon, ob Gabriels Vorstoß zum früheren Abschalten älterer Kernkraftwerke Erfolg hat, zeigen sieben Jahre seit dem Ausstiegsbeschluss der rot-grünen Bundesregierung, dass der Weg aus der Atomtechnologie eine zeitraubende Angelegenheit ist.

Drei der ursprünglich zwanzig kommerziellen Kernkraftwerke in Westdeutschland sind laut Bundesamt für Strahlenschutz inzwischen endgültig vom Netz. Der Reaktor von Mühlheim-Kärlich, der nur zwei Jahre lang (bis 1988) in Betrieb war, ist der erste, bei dem 2004 die Stilllegung begonnen wurde. Stade wurde 2002 abgeschaltet, die Stilllegung 2005 eingeleitet. Obrigheim — 2005 abgeschaltet — ist der vorerst letzte Meiler; der Antrag auf Stilllegung läuft.

Mit der Abschaltung eines Kernkraftwerks beginnt ein langwieriger, rechtlich und technisch komplizierter Prozess. Es geht darum, auch während des Rückbaus sicherzustellen, dass keine Radioaktivität freigesetzt wird. In Obrigheim geht derzeit die Phase des so genannten Nachbetriebs zu Ende. Dann erst beginnt der eigentliche Abbau, bei dem Zug um Zug Gebäude und Anlagen dekontaminiert, die strahlenden Restbestände entsorgt und alle Teile des Reaktors abgebaut werden.

Der sichere Einschluss ist in Deutschland nur theoretisch machbar.

Grundsätzlich lässt das Atomgesetz den Betreibern die Wahl zwischen zwei Methoden der Stilllegung — dem sofortigen Rückbau der Anlage oder dem so genannten sicheren Einschluss. In der zweiten Variante wird nach dem Entfernen der Brennelemente und der radioaktiven Betriebsabfälle das verbleibende strahlende Inventar in Gebäuden sicher eingeschlossen. Laut Umweltbundesamt gibt es die zweite Möglichkeit in Deutschland aber nur theoretisch, weil Lager fehlen. Das Ziel der langwierigen Rückbauaktivitäten definieren Experten mit dem Schlagwort von der "grünen Wiese". Das heißt, dass am Standort nach dem Ende des Rückbaus nichts mehr von dem Meiler übrig sein soll — weder Gebäude noch Anlagen oder Maschinen noch — und das ist das Wichtigste — radioaktive Strahlung.

Beim Bundesamt für Strahlenschutz und im Umweltministerium rechnet man damit, dass der Rückbau jedes einzelnen Reaktors mindestens zwölf Jahre dauert. Genaue Zahlen werden nicht genannt. Erstens seien die technischen Gegebenheiten von Reaktor zu Reaktor zu unterschiedlich. Zweitens gibt es weltweit noch keine Erfahrungen.

Am ehesten hilft der Blick auf die Reaktoren der früheren DDR weiter. Die vier Blöcke des Atomkraftwerkes in Greifswald und der Forschungsreaktor von Rheinsberg wurden nach der Wende 1990 in Bundesbesitz übernommen und außer Betrieb gesetzt. 1995 begann die Stilllegung. Die Energiewerke Nord — eine hundertprozentige Tochtergesellschaft des Bundes, die beide Kraftwerke betreibt — hat den Ehrgeiz, in Rheinsberg den ersten Komplettrückbau eines Atomkraftwerks der Welt zu schaffen. 2010 sollen alle wesentlichen Arbeiten erledigt sein.

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